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Pferde-Story

KIOWA

Lasst mich die Geschichte von Kiowa erzählen. Diesem wunderbaren Wesen, dem von Beginn an die Chance auf ein glückliches, artgerechtes Pferdeleben genommen wurde. Dessen stumme Seelenschreie unbeachtet verhallten.

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Kiowa war eines von vielen Pferdewesen, die der menschlichen Profitgier, Gedanken- und Empathielosigkeit, zum Opfer fiel. Ein stummer Held, der in Würde ertrug, was ihm skrupellose Menschen zumuteten, bis sein Körper einfach nicht mehr konnte. Hier wird die Geschichte eines Pferdes erzählt, das leider auch hier in unserer schönen Schweiz, kein Einzelschicksal darstellt.

Ein Wintermärchen mit ungewissem Ausgang - Die Geschichte beginnt 

Alles begann an einem Wintersonntag im Berner Jura. Bekannte waren auf der Suche nach einem Pony für ihre Reitschule und baten uns, sie zum Pferdehändler zu begleiten.  Wir hatten erst kurz zuvor unser geliebtes Pferdemädchen viel zu früh wegen unheilbarer Ataxie über die Regenbogenbrücke gehen lassen müssen, und so schlug ich die Befürchtungen meines Mannes, dass ich mich in eines dieser wundervollen Wesen verlieben könnte, mit grösster Überzeugung in den Wind. Mein Herz fühlte sich immer noch so schwer an, dass mir dieser Gedanke unmöglich erschien. Ich freute mich einfach auf einen ereignisreichen Tag und darauf, mich mit dieser wundervollen Pferdeenergie verbinden zu dürfen.

 

An der riesigen Halle angekommen, spürten wir jedoch sehr schnell, dass über diesem Ort alles andere als eine gute Energie schwebte. Boxe reihte sich an Boxe, einige der Pferde hatten Glück und standen einzeln, andere mussten sich ihre Boxe mit einem, manchmal sogar mit zwei anderen teilen. Eine Stimmung voller Unruhe, Unsicherheit und Angst waren spürbar. Wir waren die letzten die eintrafen, und der Pferdehändler fragte uns schon von weitem, was wir denn nun suchten. 

 

Ich antwortete, dass wir nur zur Begleitung mitgekommen seien, und selber kein Pferd möchten. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er dirigierte uns ans Ende des Stalls, wo einige Pferde in Gruppen gehalten wurden. Einige mit Verletzungen, schlimmen Schrammen und Bisswunden, es drückte mir fast das Herz ab. Wie konnte es so etwas in unserer Schweiz geben! Wie konnte man so mit Tieren umgehen – wie konnte so etwas erlaubt sein. Einzelne kamen direkt zur Tür und boten sich uns regelrecht an.

 

Ich spürte sie sagen: „Bitte hol mich hier raus!“ 

 

Der Handel

Nun begann eine hektische Betriebsamkeit. Der mir immer unsympathischer werdende Pferdehändler wies seine Mitarbeiterinnen an, uns ein Pferd nach dem anderen vorzuführen. Mein Mann und ich wurden derart überrollt, dass es uns die Sprache verschlug. Das von unseren Bekannten gesuchte Pony wurde nicht gefunden. Eines hätte mit seiner Grösse gepasst, war aber auf einem Auge blind. Der kleine Kerl musste unglaubliche Schmerzen leiden, denn beim Vorführen stieg er immer wieder. Als ich den Händler darauf ansprach, tat er so, als wisse er nicht, dass das Pony verletzt sein musste.

 

Er fragte mich, ob ich nun endlich etwas gefunden hätte, was ich mitnehmen wolle. Ich wiederholte, dass wir kein Pferd kaufen würden. Dass mich nichts angesprochen habe und wir gar nicht auf der Suche nach einem Pferd seien. Plötzlich meinte er: „Komm mit, ich hab noch was.“ Ich ging ihm hinterher und dachte, mein Gott was kommt jetzt noch. Er führte mich durch die ganze Stallung, bis er ganz hinten bei einer Dreierbox stehen blieb. Ein Pferd erinnerte mich sofort an das von Pippi Langstrumpf. Ich dachte nur, „wow bist du ein cooles Pferd“. Es reagierte aber überhaupt nicht, frass sein Heu und schaute nicht einmal wer da draussen stand. Ich fragte, ob es ein Appaloosa sei und der Händler bejahte. Schon wies er eines der Mädchen an, das Tier zu satteln und vorzuführen. 

 

„Du kannst ihn für dreitausend Franken haben – er ist eine Lebensversicherung, ein Verlasspferd das garantiere ich!“ Ich fragte nach, wieso er nur dreitausend Franken haben wollte für so ein schönes Pferd. Er meinte, ja er lahme ein bisschen, aber das sei nur, weil er auf der Weide einen Tritt ab bekommen habe, und es sei bereits am besser werden. 

 

Alarmglocken

Alle meine Alarmglocken schrillten gleichzeitig! Ein lahmendes Pferd, und das so kurz nachdem ich unser geliebtes Mädchen wegen Ataxie gehen lassen musste. Nein, das geht unmöglich! Eine Frau kam mit ihm in die Halle und sagte uns auf Französisch, dass sie ihn nicht traben und galoppieren lassen möchte, da er verletzt sei. Wenigstens sie hatte Mitgefühl mit dieser armen Pferdeseele. 

 

Währenddessen betrachteten wir den wunderschönen Appaloosa mit dem traurigen Blick, der irgendwie gar nicht richtig anwesend und wie verloren wirkte, wie in Trance. Ich ging zu ihm, berührte ihn und spürte, dass er eine unglaublich liebe, sensible, hilfesuchende Seele war … – und eigentlich war es da schon um mich geschehen.

 

Später im Büro, sass uns der Händler gegenüber, mit einer Flasche Bier in der Hand und noch unsympathischer als zuvor und fragte uns, welches Pferd wir nun mitnehmen wollten. Ich betonte wieder, dass wir kein Pferd kaufen werden, denn das einzige welches uns gefiel war verletzt und kam darum nicht in Frage. Er meinte, die Verletzung sei gar nicht so schlimm und wir hätten ja gesehen, dass er gar nicht so schlecht läuft. Ich erwiderte, dass er uns nur im Schritt vorgeführt wurde, weil alles andere durch die Verletzung inakzeptabel gewesen wäre. Er wurde wütend und schimpfte drauf los, dass seine Mitarbeiterin das nicht hätte machen dürfen, er reite ihn morgen selber und schaue was los sei. Ich bat ihn inständig, das nicht zu tun, weil das Pferd nun vor allem geschont werden müsse und Ruhe brauche, um gesund zu werden. Aber er hörte mir schon mitten im Satz nicht mehr zu. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was am nächsten Tag mit dem schönen Appaloosa geschehen würde.

 

Wir fuhren nachhause, sprachen aber sehr viel über das wunderbare Pferd, das es uns allen angetan hatte. Unser Verstand rief ganz klar NEIN! Denn wir hatten erst kürzlich unser geliebtes Pferd verloren. Wir konnten es uns weder emotional noch finanziell leisten in ein Tier zu investieren, von dem wir nicht wussten auf was wir uns einlassen und ob es überhaupt eine Überlebenschance hat.

 

Die Tage vergingen, aber es ging keiner zur Neige, ohne dass ich mich gefragt hätte, wie es dem schönen Appaloosa ging und wie sehr er doch im Stillen leiden musste. – Zwei Wochen später stand das Pferd bei uns. Wir hatten beschlossen, ihn von einem Arzt durchchecken zu lassen, um dann zu entscheiden, wie es weitergeht.

 

Unser gemeinsames Märchen beginnt - Kiowa zieht ein

Kiowa kam an einem Mittwoch und er war die Ruhe selbst. Obwohl er stark geschwollene Lippen hatte und keine Eisen mehr an den Hufen, legte er sich kurz nach seiner Ankunft in seiner Box hin. Er tat mir so unsagbar leid – was für ein armes Tier. Auf meine Nachfrage beim Händler, wieso er keine Eisen mehr drauf hatte, habe ich bis heute keine Antwort erhalten.

 

Am Dienstag darauf kam der Tierarzt zu einer Ankaufsuntersuchung zu uns. Nach nicht einmal 30 Minuten brach er die Untersuchung ab und riet mir, das Pferd umgehend zurück zu geben, das Tier sei nicht mal den Schlachtpreis wert. Es zeige vorne und hinten starke Lahmheit und auf der Vorhand unkontrollierte Bewegungen. Allerdings die Beule, die der Händler als „Tritt“ abgetan hatte, stellte sich als etwas Harmloses heraus. Weshalb Kiowa so lahm ging, konnte der Tierarzt nicht diagnostizieren. So fuhr ich niedergeschmettert nach Hause und berichtete meinem Mann die schlimmen Neuigkeiten.

 

Meine Gedanken kreisten immer wieder um dieselbe Sache: Nur ein herzloser und völlig skrupelloser Mensch bringt es fertig, ein offensichtlich verletztes Pferd täglich zu reiten und es einer Familie mit einem kleinen Mädchen als Lebensversicherung zu verkaufen. 

 

Mein Herz wusste, ich würde dieses Pferd nie mehr in seine Hände zurückgeben können. Eher würde ich in Kauf nehmen, sollte es wirklich nicht geheilt werden können, ihm auf seinem letzten Weg beizustehen und es friedlich erlösen zu lassen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass man ihn einfach entsorgte, wenn er dann endgültig zusammen bricht. Er hatte es verdient, ehrenvoll zu gehen, sollte es wirklich soweit kommen.

 

Aber ich konnte das nicht alleine entscheiden. Mein Mann und ich redeten täglich darüber was wir nun tun sollten. Wie unverantwortlich es wäre, unsere Tochter und uns bewusst wieder in eine so emotional schwierige Situation zu bringen, eventuell wieder ein Tier zu verlieren dem wir so nahe standen. Mein ganzes Denken drehte sich immer wieder um dasselbe: wie konnte ich dieses wunderbare Wesen, in dem ich von Beginn an einen weisen, alten Indianerhäuptling gesehen hatte, in diese rücksichtslosen Hände zurückgeben? Und dies mit dem Wissen, dass er trotz seines Zustandes täglich geritten werden würde, ohne Rücksicht auf seine Verletzungen, seine Schmerzen ohne medizinische Betreuung, immer weiter, so lange bis sein Körper nicht mehr konnte.

 

Meine Herzensentscheidung war klar, aber ich konnte sie nicht aussprechen, denn ich wollte uns auf keinen Fall in finanzielle Probleme stürzen. Wir sind eine Patchwork-Familie, die vor 6 Jahren zusammen gefunden und bei null angefangen hatte und konnten uns solche finanziellen Risiken nicht leisten.

 

Eines Abends, als wir zu dritt am Tisch sassen, meinte mein Mann, er wolle mich nicht beeinflussen, aber er möchte das Pferd nicht mehr zurückgeben, und meine Tochter stimmte dieser Meinung zu. Mir fiel mehr als nur ein Stein vom Herzen und ich fühlte mich unendlich dankbar und glücklich. Ich konnte also diesem wunderbaren Wesen die Chance geben, endlich bei seinen „für immer Menschen“ anzukommen und zu spüren was Liebe und Fürsorge bedeutet.

 

Ein Traum wird wahr - Unsere gemeinsame Zeit

Wir hatten uns also entschieden und wir boten dem Händler zweitausend Franken, damit er uns den Appaloosa überschreibe. Zunächst wollte er uns ein gleich aussehendes, anscheinend gesundes Pferd verkaufen, das er soeben bekommen habe, und wir sollten das verletzte einfach zurück bringen. Aber wir blieben dabei – wir wollten Kiowa und kein anderes Pferd.

 

Zwei Tage später hatten wir dann endlich seinen Pass. Die darin enthaltenen Angaben gaben uns viele Fragezeichen auf. Der Ausweis wurde in den Niederlanden 2020 erstellt, ohne Hinweise auf die Vorfahren und einem Geburtsdatum vom 1.1.2013. Ich war entsetzt, denn da stimmte offensichtlich einiges nicht.

 

Bei einem weiteren Tierarztbesuch kurze Zeit später fragte ich nach, ob das Alter stimmen könne, die Tierärztin bejahte dies aufgrund der Zähne. Ihre weitere Untersuchung ergab leider dasselbe Resultat wie das vom ersten. Sie meinte, dass Kiowa wahrscheinlich einen schweren Unfall hatte und jetzt einfach viel Ruhe und Erholung brauche. Das sollte er natürlich haben. Schon bald darauf durfte er seine erste Shiatsu-Behandlung erleben. Es war unglaublich schön zu sehen, wie er die Berührungen und Zuwendung genoss.

 

Nach kurzer Zeit hatte ich für ihn eine Bleibe in einem Offenstall in Aesch gefunden. Ich wollte ihm ein schönes Zuhause bieten, wo er so viel Bewegung hatte wie er brauchte, mit Zugang zu seiner eigenen Weide und das Beste – nur zehn Minuten von mir entfernt. So konnte ich viel Zeit mit ihm verbringen.

 

Inzwischen hatte ich ihn Kiowa getauft, den Namen eines Indianerstamms. Denn seit ich dieses Pferd das erste Mal gesehen hatte, sah ich in ihm einen alten Indianerhäuptling der eine unglaubliche Weisheit und Grösse ausstrahlte.


Immer wieder erlebten wir wunderschöne gemeinsame Momente bei denen unsere Herzenergie ungehindert zueinander fliessen durfte. Wir waren einfach beieinander und liessen uns unsere Dankbarkeit und Liebe gegenseitig spüren. Er strahlte ein unendliche Herzenswärme aus, die mich täglich neu ehrfürchtig staunen liess.
 

Ich war voller Hoffnung, meinen nun mehr als liebgewonnenen Appaloosa mit viel Zeit und noch mehr Liebe ganz gesund machen zu können. Ich schmiedete insgeheim Pläne für ihn, malte mir aus, ihn nach seiner Genesung in einen Stall zu bringen, wo er in einer kleineren Pferdeherde glücklich leben könnte. Ich wollte nicht auf ihm reiten - das war mir nie wichtig. Ich sah ihn als Weggefährten, als einen wichtigen Teil in unserem Leben. Etwas von ihm zu fordern lag mir fern. Ich wünschte mir einfach, dass er gesund und schmerzfrei bei uns seine schlimme Vergangenheit vergessen, und ein Leben voller Liebe und Zuneigung geniessen konnte.

 

Orthopädische Koryphäe

Kurze Zeit später hörte ich von einem Arzt, der eine orthopädische Koryphäe sei. Der sollte sich Kiowa anschauen und mir endlich sagen, was ihm fehlte. Als er ihn sich anschaute, meinte er, dass Kiowa auch für ihn eine grosse Herausforderung darstelle. Er sah in seinem Gangbild diverse Probleme, die aber nicht zusammen passten. 

 

Der Umstand, dass er plötzlich keine Eisen mehr trug, hätte vielleicht auch einen Einfluss, da Pferde bis zu einem Jahr brauchten, bis sie sich an das „Barfusslaufen“ gewöhnen und teilweise äusserst sensibel reagierten. Ich wusste ja gar nichts über Kiowa’s Vergangenheit und daher auch nicht, ob er vielleicht aus bestimmten orthopädischen Gründen Eisen tragen sollte. Das wusste ja keiner.

 

Da sich trotz absoluter Schonung seit Februar nichts verbessert hatte, schlug uns der Arzt vor, das Pferd in die Klinik nach Niederlenz für eine Szintigraphie zu bringen, um damit eventuelle Verletzungen aufspüren und lokalisieren zu können. Ich war anfangs strikte dagegen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, Kiowa in einen Transporter zu stecken und zwei Tage lang in der Klinik zurück zu lassen, nachdem er so eine lange Odyssee hinter sich hatte und kein wirkliches Zuhause kannte. Ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass er schon wieder verlassen wird.

 

Zuhause berieten mein Mann und ich stundenlang darüber, was für Kiowa das Beste sei. Endlich kamen wir zum Schluss, dass es tatsächlich auch für ihn gut wäre, möglichst schnell alle Untersuchungen hinter sich zu bringen, und dafür war nun mal eine Szintigraphie nötig. 

 

Schon am nächsten Tag organisierten wir den Transport für Kiowa und eine Woche später war es dann soweit. Wir fuhren ihn in die Klinik und bis Freitag sollten wir ihn wieder abholen können. Ab da zuckte ich bei jedem Klingeln meines Telefons zusammen, denn meine Angst war riesig, von dort einen Anruf zu bekommen in dem es hiess, die Verletzungen seien doch zu schwer und Kiowa sollte gleich erlöst werden.

 

Ich war so glücklich als ich den Bescheid erhielt, dass er abholbereit sei, und meine Hoffnungen auf einen guten Ausgang wurden wieder grösser. Als wir Kiowa am Freitag holten, erklärte uns der Arzt was er auf den Bildern gesehen hatte. Mein Pferd hatte unglaublich viele verschiedene Verletzungen, zudem waren drei seiner Hufe entzündet. Der Arzt empfahl einen orthopädischen Beschlag, in der Hoffnung, dass sich so das eine oder andere Problem bessern liess. Abschliessend meinte er, dass es nicht sicher sei, ob das Pferd je wieder reitbar werde. Auch ihm sagte ich, dass mir das völlig egal ist. Es war nie mein wichtigstes Ziel, mich je auf seinen Rücken zu setzen. Ich wollte einfach nur, dass er ein glückliches und schmerzfreies Leben führen konnte. In einem Für-immer-Zuhause, wo er Liebe und Fürsorge erfahren durfte und weiss, dass er für den Rest seiner Tage bleiben darf.

 

Ein schwerer Unfall

Nun waren sich also schon drei Tierärzte einig, dass Kiowa einen schweren Unfall erlitten haben musste. Was mich im tiefsten Herzen schmerzt und mein Verstand einfach nicht nachvollziehen kann ist, dass es Menschen gibt, die ein Tier einfach nur benutzen und nicht bereit sind, nur ein bisschen auf es einzugehen. Was musste diese liebevolle Seele, dieses wunderbare Pferd alles schon erlebt haben. 

 

Zurück zuhause wurde natürlich sofort der Hufschmied aufgeboten und kurz darauf hat Kiowa seine Schuhe bekommen. Wir konnten schon bald beobachten, dass er wirklich besser unterwegs war. Es schien auch, als hätte er weniger Schmerzen und die Hufe waren nicht mehr warm. Hätte uns der Händler darüber informiert, dass dieses Pferd Eisen braucht, hätten wir natürlich nicht gezögert und ihm sofort einen Spezialbeschlag machen lassen.

 

Wir verbrachten nun so viel Zeit wie nur möglich mit ihm und er begann jetzt sogar mit meiner Tochter und mir Fellpflege zu betreiben, wenn auch nicht immer so sanft, und zeigte uns damit seine Zuneigung. Von diesem Moment existiert es sogar einen kleinen Film.

Auch gab es immer wieder Momente in denen er mir zärtlich seinen Kopf an meinen Bauch oder meine Beine drückte, inne hielt und einfach zuliess, dass ich ihn ganz lieb über seine Wangen streichelte und mit ihm redete.

Immer wenn ich vor Kiowa stand und ihn von vorne umarmte, hielt er seinen Kopf um meinen Rücken oder meine Beine geschlungen und drückte mich fest an sich. Das war seine Art, mich zu umarmen.

Wenn wir bei ihm im Stall Pizza assen, mussten wir ihn davon abhalten, uns ein Stück zu klauen. So ein neugieriger, verspielter Lausbub war er. Auch der Besen hatte es ihm angetan und er war hinter ihm her und wollte ihn unbedingt haben, wenn wir am Wischen waren. 

 

Wehmut
Ich erinnere mich mit Wehmut an unsere gemeinsamen ruhigen Stunden, wenn ich mich mit einem Klappstuhl in seinen Stall setzte, einfach nur um die Zeit mit ihm zu geniessen. Es war mir zur Gewohnheit geworden, mir bei dieser Gelegenheit einen Becher San Pellegrino einzuschenken. Doch ich konnte mein Mineralwasser nie alleine trinken, denn Kiowa fand es zu lustig, wie die Kohlensäure an seinen Nüstern prickelte und wollte auch etwas davon abhaben.

 

Nach dem Spezialbeschlag vergingen fast vier Wochen bis der Orthopädie-Arzt wieder auf den Hof kam. Wir hatten dies telefonisch so vereinbart, denn er meinte es sei gut wenn Kiowa Zeit hätte sich wieder an die Eisen zu gewöhnen, und sich so vielleicht schon einiges beruhigen konnte. 

 

Ich war voller Hoffnung und gleichzeitig voller Angst vor einer schlechten Diagnose. Der Arzt verlangte Kiowa im Roundpen zu sehen. Es war das erste Mal, dass er ins Roundpen ging und der Anblick gab mir einen Stich ins Herz. Sogar mein Mann, der von Pferden nicht viel verstand, sah sofort, dass mein Pferd erbärmlich lief. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. 

 

Zurück beim Auto des Tierarztes liessen wir uns von ihm nochmals die Bilder der Szintigraphie erklären. Er meinte, er habe diese stundenlang studiert und sich viele Gedanken darüber gemacht, wie wir Kiowa helfen könnten. Die Liste der gesundheitlichen Probleme nahm kein Ende: untere Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Hüften, Knie, Spat, Patellasehne, Ellbogen, die Hufe … überall gab es schlechte Prognosen. Der Arzt nannte uns zwei Möglichkeiten um meinem geliebten Pferd zu helfen. Die eine – wir bringen Kiowa zu ihm zum Röntgen um festzustellen, ob wir es mit Arthrose, einem Bruch der Halswirbel, Kissing Spines oder andere Probleme an der Brustwirbelsäule zu tun hätten. Er warnte uns aber, dass auch diese Abklärung nicht zwingend etwas Hilfreiches ergeben musste. Die andere Möglichkeit wäre: ihn zu erlösen. Mein Traum, ihn irgendwo in einer kleinen Herde sein Leben geniessen zu lassen wäre absolut keine Option. Er würde bis ans Lebensende Schmerzmittel bekommen müssen und spezielle Therapien brauchen und trotzdem würde er nie ganz schmerzfrei sein. 

 

Mein Herz wollte zerspringen. Ich fühlte eine Zentner schwere Last auf meiner Brust und konnte kaum atmen. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen fühlte ich mich wie in Trance. Alles was der Tierarzt uns da erzählte war irgendwie surreal. Ich bat ihn, uns Schmerzmittel dazulassen, denn ich war nicht fähig sofort eine Entscheidung zu treffen. 

 

Es war klar...

 

Am nächsten Morgen war es dann für mich klar. Meine Liebe zu Kiowa war so gross, dass ich ihn gehen lassen musste. Ich hatte mich in dieser kurzen Zeit so in diese wunderbare Seele verliebt, dass ich ihn nicht weiter leiden lassen durfte. All die Schmerzen, all das Schlimme, das er in seinem kurzen Leben erfahren hatte – es war meine Pflicht, ihn davon zu erlösen.

 

Mein Herz wurde immer schwerer und ich fühlte mich nur noch leer. Umso dankbarer war ich dafür, dass Kiowa mir seine Gedanken übermittelte. Seine Mitteilung an mich: „Ich weiss, dass ich nicht mehr lange hier sein werde. Aber ich werde dich nie verlassen, ich gehöre zu dir. Ich will nicht, dass sich jemand in finanzielle Schwierigkeiten bringt wegen mir. Meine Zeit ist begrenzt und es ist schön, dass du mich gerettet hast, denn dadurch durfte ich zu dir kommen. Das war mein Weg zu dir … aber es ist klar, dass ich demnächst gehen werde, aber nur, um sofort wieder an deiner Seite zu stehen. Denn ich bin gekommen, um dir Halt und Hilfe in der Zukunft zu geben. Ich werde helfen, werde Brücken bauen. Ich liebe dich genauso sehr wie du mich, doch man sollte wissen wann es Zeit ist zu gehen.

 

Ich weiss, dass es meine Bestimmung ist dir zur Seite zu stehen, aber in anderer Form als bisher. Wir gehören zusammen, sind ein Team. Ich bin bereit zu gehen und will es auch. Es fühlt sich an, als wenn ich mit gepacktem Koffer auf einem Bahnsteig stehe und der Zug hält vor mir, aber ich kann nicht einsteigen weil ich kein Ticket habe. Bitte warte nicht mehr zu lange.“

 

Kiowas Wunsch war es also, an meiner Seite zu stehen, mir zu helfen mehr durchzustarten und das konnte er nur, wenn er seinen kranken Körper verlassen durfte. Er war kein bisschen frustriert, traurig oder wütend. Im Gegenteil er war sehr ruhig und verständnisvoll. Seine Bitte an mich war, ihn aus diesem kranken Körper zu befreien, dies empfand er als absoluten Akt der Liebe. Erst dann konnte es richtig vorwärts gehen.

 

Abschied - Nicht jedes Märchen endet glücklich

An diesem Nachmittag kam der Tierarzt um meinem geliebten Seelenfreund seinen Wunsch zu erfüllen. Mit trauerschwerem Herzen nahm ich an den beiden darauffolgenden Tagen in physischer Form Abschied von ihm. Es war eine meiner schwersten Zeiten die ich je erleben musste. Der Abschied war heftig und es zerriss mir fast das Herz. 

 

Auch heute noch bin ich voller Trauer, weil ich ihn nicht mehr sehen, riechen oder berühren kann. Mein geliebtes Pferd – ich war so voller Hoffnung, dass wir es doch schaffen würden und ein wundervolles gemeinsames Leben geniessen könnten. Du warst doch noch so jung. Doch nun bist du in anderer Form an meiner Seite und mein Herz ist in ewiger Dankbarkeit mit dir verbunden.

 

Während unseres letzten gemeinsamen Monats veränderte sich die Fellzeichnung unter Kiowa’s Auge so, dass ein süsses kleines Herz entstanden ist. Ich nehme es als Liebesbeweis, denn so zeigte er mir auf nonverbale Art, wie dankbar er war und wie gross seine Liebe zu mir in diesen kurzen fünf Monaten wurde. Ich bin unendlich dankbar dafür, solch wunderschöne Momente mit ihm erlebt zu haben. 

 

Ruhe in Frieden und ohne Schmerzen mein grosser Indianerhäuptling.

In unbeschreiblicher Liebe für immer und noch viel länger. Nadine

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